Reality Gap

Reality Gap

Das Reality Gap – Warum Unternehmen die Zukunft so unterschiedlich sehen

Wenn wir über die Zukunft sprechen, merken wir schnell: Es gibt nicht die eine Zukunft. Vielmehr prallen unterschiedliche Sichtweisen aufeinander – manche voller Skepsis und Sorgen, andere voller Zuversicht und Aufbruchsstimmung. Diese Kluft zwischen Pessimismus und Technologie-Optimismus nennen Zukunftsforscher das Reality Gap. Wer dieses Gap versteht, hat einen entscheidenden Vorteil: Er erkennt, wie wichtig die Wahl des Zukunftsbildes ist und welche Chancen in dieser Differenz liegen.

Was ist das Reality Gap?

Der Begriff beschreibt die Lücke zwischen zwei Wahrnehmungen der Zukunft. Auf der einen Seite stehen die Blaudenker: Menschen, die Krisen, Unsicherheiten und Risiken in den Vordergrund rücken. Für sie ist die Zukunft im besten Fall eine lineare Fortschreibung der Gegenwart: ein wenig Wachstum, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, aber keine Revolution.

Auf der anderen Seite stehen die Rotdenker. Technologie-Optimisten, die überzeugt sind, dass wir in den kommenden Jahrzehnten die größten Menschheitsprobleme lösen werden. Hunger, Wasserknappheit, Energieversorgung oder medizinische Grenzen – all das sehen sie auf dem Weg zur Lösung, angetrieben durch technologische Innovationen.

Das Reality Gap entsteht, weil beide Seiten ihre Sicht für „die Realität“ halten. Doch die Wahrheit ist: Zukunft entsteht nicht aus den Erfahrungen der Vergangenheit, sondern aus den Möglichkeiten der Zukunft.

Blaudenker: Die Zukunft als Fortsetzung der Gegenwart

Viele europäische Unternehmen sind von einem stark in der Vergangenheit verwurzelten Denken geprägt. In Gesprächen mit Führungskräften hört man häufig Aussagen wie: „Wenn die Politik mitspielt und wir Glück haben, können wir vielleicht ein bisschen wachsen.“ Die Zukunft wird dabei als unsicher wahrgenommen, abhängig von äußeren Faktoren und bestenfalls als leicht positive Entwicklung.

Diese Haltung ist verständlich, denn sie fußt auf Erfahrungen mit Krisen – von Finanzkrisen bis hin zu Pandemien. Doch sie birgt auch eine Gefahr: Wer nur reagiert und Risiken minimiert, übersieht leicht die Chancen, die gerade im Wandel liegen.

Rotdenker: Zukunft als Chance für radikalen Wandel

Ganz anders klingen die Antworten, wenn man mit internationalen Tech-Entscheidern spricht. Dort herrscht die Überzeugung: „Wir stehen kurz vor einem Durchbruch. Noch nie war die Wahrscheinlichkeit so groß, globale Probleme durch Technologie zu lösen.

Ob es um KI, Quantencomputer, Robotik oder Biotechnologie geht – die Rotdenker sehen Innovationen nicht als Bedrohung, sondern als Werkzeuge, um die Zukunft aktiv zu gestalten. Ihr Mindset ist weniger von der Vergangenheit geprägt als von der Frage: „Was ist technologisch möglich – und wie können wir es nutzen?”

Warum die Lücke wächst

Je schneller technologische Entwicklungen voranschreiten, desto größer wird die Lücke zwischen Realität und virtueller Welt. In Bereichen wie künstlicher Intelligenz oder Quantencomputing sind die Fortschritte rasant. Während einige Unternehmen noch versuchen, ihre bestehenden Prozesse ein wenig effizienter zu gestalten, legen andere bereits den Grundstein für völlig neue Ansätze.

Beispiel: Während in Europa noch darüber diskutiert wird, ob humanoide Roboter in Haushalten realistisch sind, trainieren Unternehmen in China und den USA bereits Prototypen, die 2026 marktreif sein sollen – zu Preisen, die für viele Firmen erschwinglich sind.

Diese Diskrepanz zeigt: Wer nur auf die „blaue Linie“ der Vergangenheit vertraut, riskiert, den Anschluss an die „rote Linie“ der Zukunft zu verlieren.

Die Gefahr des Verharrens

Unternehmen, die ausschließlich auf Gegenwartsanalysen setzen, geraten schnell in eine Falle. Klassische Methoden wie SWOT-Analysen oder Benchmarking zeigen, wo ein Unternehmen heute steht, offenbaren aber nicht, welche disruptiven Veränderungen von außen auf eine Branche zukommen.

Das Ergebnis sind Strategien, die nur auf „ein bisschen besser“ abzielen. Ein paar Prozent Effizienzsteigerung hier, ein wenig Optimierung dort. Doch währenddessen entwickeln andere ganz neue Geschäftsmodelle, die ganze Branchen umkrempeln können.

Chancen im Reality Gap

Das Spannende daran ist: Gerade in dieser Lücke entsteht Zukunft. Sie zeigt, wo Wahrnehmungen auseinandergehen und wo Platz für neue Ideen ist. Unternehmen, die den Mut haben, diese Grenze zu überschreiten, können enorme Wettbewerbsvorteile erzielen.

Ein Beispiel: Bereits 2018 prognostizierten Zukunftsforscher den Übergang von einfachen KI-Tools zu komplexen Cognitive Agents für das Jahr 2025. Heute, sieben Jahre später, beobachten wir genau diese Entwicklung. Unternehmen, die damals in die „rote Linie“ investierten, profitieren heute massiv.

Das Reality Gap ist also kein Nachteil, sondern eine Einladung, mutiger zu denken und sich nicht von Vergangenheitsmustern fesseln zu lassen.

Wie Unternehmen das Gap nutzen können

Der Schlüssel liegt darin, Zukunft nicht aus der Gegenwart abzuleiten, sondern aus den Möglichkeiten von morgen. Eine Methode dafür ist das sogenannte Backcasting: Anstatt von heute nach vorne zu planen, beginnt man mit einem klaren Zukunftsbild in fünf oder zehn Jahren und rechnet rückwärts.

  • Wie sieht die Branche in fünf Jahren aus?
  • Welche Geschäftsmodelle haben sich etabliert?
  • Welche Technologien prägen den Markt?
  • Wie müssen wir uns positionieren, um dort erfolgreich zu sein?

So entsteht eine Strategie, die nicht auf die Optimierung der Gegenwart, sondern auf die Gestaltung der Zukunft setzt.

Die Zukunft ist eine Entscheidung.

Das Reality Gap zeigt uns: Es gibt keine objektive Wahrheit über die Zukunft. Aber es gibt Möglichkeiten – und die Wahl, welchem Bild wir folgen. Unternehmen, die auf der blauen Linie verharren, riskieren, zurückzufallen. Wer sich jedoch auf die rote Linie wagt, kann nicht nur wachsen, sondern auch Märkte aktiv prägen.

Die wichtigste Frage lautet also nicht: „Was bringt die Zukunft?“, sondern: „Welche Zukunft wollen wir gestalten?“

Im nächsten Beitrag der Serie „Zukunft 2035” schauen wir uns an, wie Cognitive Agents schon bald unsere Arbeit verändern werden und warum sie das Fundament der Botökonomie bilden.